Bekennender Heiner 2013
Sigurd Hofmann
Warum eigentlich „Darmstadtium“?
„Glück haben“ ist das Beste, was jemandem im Leben passieren kann. Das berühmte Quäntchen Glück entscheidet so oft über einen ganzen Lebensweg. So hatte ich Glück, dass meine Eltern im Jahr 1947 nach Groß-Umstadt kamen, ich dort zur Schule und dann ins naturwissenschaftliche Gymnasium gehen konnte. Sehr früh entdeckte ich, durch ausgezeichnete Lehrer unterstützt, meine Vorliebe zur Mathematik und Physik. Damit konnte ich meine miserablen Leistungen in Sport und Musik mehr als wettmachen. Gesang war ganz und gar nicht mein Fach, ebenso nicht ein Felgaufschwung am Reck, wohl aber Zeichnen und Malen im Kunstunterricht.
Das zweite Mal hatte ich Glück, als ich einen Studienplatz für Physik suchte. Die TH Darmstadt war damals schon der Gral der Naturwissenschaften, und es war gar nicht so leicht, einen Studienplatz zu bekommen. Aber ich hab’s geschafft und konnte nun bei hervorragenden Professoren lernen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Spätestens bei der Diplomarbeit, aber mehr noch bei der Doktorarbeit wurde mir bewusst, dass der Teufel nicht im Pudel, sondern im Detail steckt. Und wo lässt sich besser über Details nachdenken und diskutieren als im Herrngarten, der nur einen Katzensprung vom Institut für Kernphysik entfernt ist? Es war eine ruhige, ja beschauliche Stimmung, die mich da umgab. Ich denke, es ist die Symbiose von Stadt und Land, was nur möglich sein kann, wenn eine Stadt eine gewisse kritische Größe nicht überschreitet. Und das ist es, was Darmstadt für mich so liebenswert macht.
Eine so gewachsene Liebe gibt man ungern auf. Doch ich hatte ein weiteres Mal Glück. Gerade war mir mein Doktorhut aufgesetzt worden, konnte ich schon eine Stelle bei der neu gegründeten GSI antreten. Obwohl nur acht Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, war die Welt im Wald bei Wixhausen eine andere. Aber, zum Trost, die Physik und ihre Gesetze galten auch hier, nur das Fachgebiet hat sich geändert. Im Mittelpunkt standen jetzt Experimente mit schweren Ionen, beschleunigt im UNILAC auf 10 bis 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Eine weltweit einmalige Forschungsanlage. Und ich durfte beim Aufbau dabei sein.
Schwerpunkt unserer Arbeiten war die Erforschung neuer superschwerer Elemente jenseits des Urans. Es gab einen Grund, der die Sache besonders spannend machte: Theoretikern war es gelungen, die Eigenschaften der Atomkerne gut zu beschreiben. Dazu gehörten auch die magischen Zahlen, bei denen Schalen für Protonen und Neutronen gefüllt sind. Diese Kerne sind dann besonders stabil. Nach Blei sollte das bei den superschweren Elementen wieder der Fall sein, und wir bei der GSI waren damals die einzigen, die solche Elemente herstellen konnten.
Schon in den ersten Jahren gelang es, drei neue Elemente zu machen, darunter das nach Hessen benannte Hassium, Element 108. Federführend war damals Gottfried Münzenberg, der aus Gießen zur GSI kam. Zehn Jahre später, nach wesentlichen Verbesserungen, gelang es, drei weitere Elemente herzustellen. Das erste davon war im Jahr 1994 das Element 110, das wir auf den Namen Darmstadtium tauften. Dass dies gelang, war nicht nur Glück, sondern harte und systematische Forschungsarbeit, nicht nur der direkt am Experiment Beteiligten, sondern aller Mitarbeiter der GSI. Alle fieberten mit, als wir am 8. November die Bestrahlungen starteten. Schon einen Tag später konnten wir das erste Atom des neuen Elementes Darmstadtium nachweisen.
Warum eigentlich „Darmstadtium“? Darmstadt ist die Heimat der GSI. Es ist auch meine Heimat, auch wenn ich ein Stück weit weg wohne. Viele Mitarbeiter der GSI sind Darmstädter. Die Wissenschaftsstadt Darmstadt, und das sind die Bürger von Darmstadt, hat den Bau der GSI an dieser Stelle ermöglicht. Darmstadt unterstützt die GSI im Bereich der Forschungsvorhaben und der Infrastruktur. Kurze Verwaltungswege erleichtern die Arbeit. Gäste und Zugereiste aus dem In- und Ausland fühlen sich wohl in Darmstadt. Darmstadt ist die Stadt der Wissenschaften, moderner Industrien und kulturelles und administratives Zentrum Südhessens.
Mit dem neuen Element Darmstadtium, das in Darmstadt entdeckt wurde, möchten wir uns bei der Stadt und ihren Bürgern bedanken. Bei der Taufe im Jahr 2003 hat „Darmstadtium“ für alle Zeiten seinen Platz im Periodensystem der Elemente gefunden. Übrigens, chemisch gesehen sollte es ein sehr wertvolles Element sein, denn im Periodensystem steht es direkt unter dem Platin.
Heute, einige Jahre sind vergangen, möchte ich mich wiederum bedanken. War es Glück, war es Zufall, war es Verdienst? Vielleicht von allem etwas. Zu meiner Überraschung, aber auch zu meiner großen Freude, wurde ich zum „Bekennenden Heiner“ 2013 ernannt.
Ich bin es mit Freude und Dankbarkeit und werde es auch bleiben.
Sigurd Hofmann