Bekennender Heiner 2017

Johann-Dietrich Wörner

Darmstadt – eine Stadt, die man entdecken muss, um sie zu verstehen und zu mögen.

Zwar war ich schon als Schüler hin und wieder bei Verwandten in dieser Stadt, die intensivere Auseinandersetzung begann jedoch erst mit dem Studium 1975. Das legendäre Hippo, die Krone, die Technische Hochschule und das auf jeweils nur wenige Tage beschränkte Heinerfest bildeten das „Ensemble“ des Studentendaseins. Eigentlich dachte ich, nach dem Studium wieder in meine nordhessische Heimat zurückzukehren. Nachdem ich aber in Frankfurt eine erste Anstellung als Ingenieur bekam, wurde die Abreise „vorläufig“ verschoben. Mit der Geburt der beiden Kinder und der damit verbundenen stärkeren Bindung zu anderen Familien wuchs auch die Affinität zur Stadt. Als sich dann auch der berufliche Mittelpunkt in Form einer Professur an der THD nach Darmstadt verlagerte, entwickelte sich Darmstadt zur neuen Heimat. Die Tatsache, dass die Gastfreundschaft für Besucher aus aller Welt auch eine Vorstellung der städtischen Attraktivitäten „verlangte“, führte mehr und mehr zu einer Verbundenheit. Die Intensität der Interaktion erfuhr eine weitere Steigerung mit der Wahl zum Präsidenten der TH am 28. Juni 1995. Einen Tag vor der damaligen Eröffnung konnte ich das Festzelt nutzen, um die Wahl angemessen zu feiern. Praktisch und speziell zugleich. Einen Tag danach wurde ich bei der Heinerfesteröffnung durch OB Peter Benz der Stadtgesellschaft oder besser den „Heinern“ vorgestellt. Dabei musste ich zugleich eine weitere schwierige Prüfung bestehen, nämlich den Bieranstich gemeinsam mit Wolfgang Koehler. Die verschiedenen beruflichen Aktivitäten, erst als Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Hauptsitz in Köln und jetzt als Generaldirektor der ESA, deren Headquarter in Paris ist, haben mich nicht dazu gebracht, meinen Lebensmittelpunkt aus Darmstadt zu verlagern. Durch das ESA-Raumfahrtkontrollzentrum ESOC und weitere Lehrtätigkeit an der Technischen Universität Darmstadt bin ich über die rein privaten Beziehungen auch beruflich tätig.

Die jeweiligen politischen Verantwortlichen in Darmstadt haben es geschickt verstanden, die spannenden Themen der Stadt nicht als Widerspruch zu sehen, sondern für eine positive Wirkung nach innen und außen zu nutzen: So ist die offizielle Benennung „Wissenschaftsstadt“ kein Marketinggag, sondern eine Identifikation mit mehr als dreißig wissenschaftlichen Einrichtungen. Gleichzeitig ist Darmstadt aber auch die Stadt des Jugendstils, der Tage für Neue Musik und vieles andere mehr. Überhaupt, Vielfalt ist eines der zentralen Markenzeichen dieser weltoffenen Stadt.  Darmstadt ist groß genug, um weltweit bekannt zu sein und klein genug, um für den Einzelnen überschaubar und erlebbar zu bleiben. Typisch auch der SV98, der derzeit Darmstadt der bundesweiten Fußballgemeinde und sogar Barack Obama Darmstadt in besonders positiver Weise bekannt macht. Hoffen wir, dass die Erfolge der letzten Jahre nachhaltig gesichert werden können.

Natürlich gibt es hin und wieder auch Aspekte, die zum Widerspruch aufrufen, wenn parteiorientierte Phrasen oder extrem lokal ausgerichtete Interessen eine nicht angemessene Rolle spielen und damit die Gesamtsicht der Stadt zu trüben in der Lage sind. Spätestens im Festzelt des Heinerfests ist das alles vergessen und die Heiner frönen einer ihrer besonderen Leidenschaften, dem Feiern. Genau an dieser Stelle muss ich sicherlich noch etwas von den „echten Heinern“ lernen, um die Feierlaune als Ausgleich für Arbeit und Sorgen und nicht als unbegründete Unbeschwertheit in einer schwierigen Welt zu verstehen. Dieses Thema hat mich übrigens auch schon im Kölner Karneval begleitet, der bekanntermaßen hinsichtlich der Ausgelassenheit das Heinerfest noch übertrifft, aber an dessen Qualität natürlich nicht herankommt.

Als Akademiker und als Verantwortlicher in herausgehobener Funktion  erhält man hier und da Ehrungen und Würdigungen sehr unterschiedlichen manchmal auch fragwürdigen Wertes; die Auszeichnung als „Bekennender Heiner“ ist für mich etwas ganz Besonderes, was mich nicht nur erfreut, sondern auch auffordert, mich für diese Stadt weiter einzusetzen.

Danke!

Jan Wörner