Bekennender Heiner 2020
Helmut Lortz
Ein großer Heiner wird 100 - Helmut Lortz zum Geburtstag
Wir hören nicht auf zu spielen,
weil wir alt werden.
Wir werden alt,
weil wir aufhören zu spielen.
Das ist so einer der Sätze, die er locker parat hatte. Viele davon sind gesammelt und in kleinen Büchern aufgehoben. Er hat nicht nur gemalt, gezeichnet, entworfen, fotografiert, gebastelt, plastisch geformt, er ist auch mit offenen Augen durch die Welt gegangen und hat sie in sich aufgenommen und sich intensiv mit ihr auseinandergesetzt. Ein gescheiter Kopf hat auch gescheite Freunde. Das war ein Glück für ihn ein Leben lang.
Er ist kurz vor seinem 87. Geburtstag in Darmstadt gestorben. Er wollte kein Grab – seine Asche sollte der Wind verwehen. Seine Todesanzeige hatte er vorbereitet:
Er ist am 25. April 1920 in Schneppenhausen geboren. Als er drei war, sind die Eltern nach Arheilgen gezogen. Der Vater war Lehrer. Helmut ist in Arheilgen in die Grundschule gegangen. Da war er ein glückliches Kind. Aber dann im Realgymnasium hat er gelitten, gekränkelt und sich in seine Welt verkrochen, hat gezeichnet und geschnitzt. Ein Freund der Familie hat empfohlen, den Jungen doch etwas Handwerkliches lernen zu lassen. Er brachte die Elfenbeinschnitzerschule in Erbach ins Gespräch, und das war überzeugend für den Vater, da man hier einen Abschluss machen konnte.
Befreit von den Zwängen hat er hier seinen Glücksweg beschritten. 1935 begann er mit der Ausbildung und schon 1937 wurde er „Reichssieger“, wie das damals hieß. 1938 schloss er mit der Gesellenprüfung ab und bekam ein Stipendium für das Studium an einer Kunstakademie. Er entschied sich für die Vereinigten Staatsschulen in Berlin, die spätere Hochschule der bildenden Künste. Bis 1940 studierte er angewandte Kunst bei Prof. Paul Wynand, und direkt vom Meisterschülerabschluss wurde er zum Kriegsdienst einberufen.
Vom russischen Winter wurde er quer durch Europa in die französische Provence verlegt und hat hier seine Liebe zu Frankreich entdeckt. Das Kriegsende erlebte er in Prag, nach seinen Worten „mit großen Schrecken, Erniedrigungen, Angst und Hoffnungslosigkeit“. Bei nächster Gelegenheit hat er sich ganz unauffällig zu Fuß auf den Weg nach Arheilgen gemacht und ist auch gut angekommen. Hier gab es keine Lebensmittelkarte für ihn, da er keine Entlassungspapiere hatte.
Im zertrümmerten Darmstadt hat er bei der Schuttbeseitigung geholfen und einen Arzt zu seinen Patienten chauffiert. Durch Vermittlung von Freunden lernte er Karl Heinz Reinheimer kennen, der kommissarisch eine Druckerei mit Verlag in Reutlingen betreute. Der bot ihm ein Volontariat an. Das war wieder einer der Glücksschritte in seinem Leben, denn hier bekam er das Basiswissen für alles, was mit Druck und Buchherstellung zu tun hatte. Und er gewann eine lebenslange Freundschaft mit Karl Heinz Reinheimer.
Robert d’Hooghe, Buchhändler und weitblickender Kunstfreund, richtete 1947 die erste Ausstellung für ihn aus, 1948 wurde er Mitglied der Darmstädter Sezession, er gestaltete Bucheinbände für große Verlage, machte Plakate für die Sezession, die Ausstellungen der Stadt Darmstadt und die Darmstädter Gespräche, arbeitete bei der Grafik Section beim US Hauptquartier mit und bei der 1. Automobil-Ausstellung in Frankfurt.
um 1950
1952 holte man ihn als Dozenten an die Werkkunstschule Darmstadt als Leiter der Klasse für Gebrauchsgrafik, 1954 wurde er erstes Mitglied der Alliance Graphique Internationale, 1955 erhielt er zusammen mit seinem Bildhauerfreund Wilhelm Loth den ersten Darmstädter Kunstpreis. 1957 war er Gründungsmitglied der Grafikergruppe Novum und heiratete seine Freundin Hilde Bauer. 1959 berief man ihn als Professor für experimentelle und angewandte Grafik an die Hochschule der Künste in Berlin, dahin, wo er einmal studiert hatte. Die große Bühne war erreicht, und 30 Jahre lang wirkte er hier als erfrischender, geliebter und verehrter Lehrer.
Anfang der 50er Jahre hatte er angefangen, ein Nebengebäude seines Elternhauses umzubauen zum Wohnen und als Atelier. Der legendäre „Saustall“ wurde zum Treffpunkt der aufstrebenden Intellektuellen und zur Keimzelle des neuen kulturellen Darmstadt.
um 1965 an seinem Arbeitsplatz
Darmstadt, Arheilgen, seine Freunde, das blieb auch in den Berliner Jahren seine Heimatbasis. Er pendelte und arbeitete hier und dort und hielt seine Kontakte. Sein Schaffen hat nicht nur bundesweite, sondern internationale Anerkennung gefunden. Die Stadt Darmstadt hat ihn 1970 mit der Johann Heinrich Merck-Ehrung ausgezeichnet. Es gibt viele Publikationen von ihm und über ihn. Die HdK Berlin hat u.a. die Bände „Lortz der Lehrer“ und „Lortz der Zeichner und Fotograf“ herausgegeben und sein Schüler Armin Lindauer einen Denkmalband über seine Lehre mit dem Titel „Helmut Lortz. Denkzettel.
Eine Anleitung zum Sehen, Zeichnen und Denken“.
Helmut Lortz hat spielerisch gearbeitet, er war nie untätig, er hat uns allen ein großes Werk hinterlassen. Und auch die mehr als 10 Ausstellungen, die im Laufe dieses Jubiläumsjahres einige Sparten seines Wirkens zeigen sollen,
werden nur einen Überblick geben über das, was in rund 60 Schaffensjahren entstanden ist.
um 1970 an seinem Arbeitsplatz im Saustall
Durch die vielen Jahre unserer Zusammenarbeit konnte ich Helmut Lortz für das Heinerfest gewinnen. 1985 entstand das von ihm gestaltete originelle Kochbuch „Supp‘, Gemüs‘ unn Fleisch“ und ab 1991 gestaltete er die Plakate und Programme für das Fest der Heiner mit seinem kleinen munteren Festpersonal. Und es ist eine gute Ehrenbezeugung des Heinerfestkomitees, diesen Ausnahmekünstler zum 100sten Geburtstag als BEKENNENDEN HEINER auszuzeichnen und festzuschreiben. Wir werden die Plakette am Aufgang zu seinem Atelier im Künstlerhaus Ziegelhütte anbringen, wo er sich nach seiner Emeritierung seinen Arbeitsplatz eingerichtet hatte, den er sehr geliebt hat.
Liane Palesch, von 1972-1993 Geschäftsführerin der Darmstädter Sezession
und seit 1962 Mitarbeiterin im Heinerfestausschuss und von 1984 - 2001 geschäftsführende Vorsitzende.