Bekennender Heiner 2012
Ruth Wagner
Ruth Wagner – unser „Bekennender Heiner“ 2012
Der „Bekennende Heiner“ für das Jahr 2012 ist eine Frau – Ruth Wagner – unsere Frau für Wissenschaft und Kultur. Und das nicht nur mit Blick auf Darmstadt, sondern hessenweit. Da sie aber in unserer Stadt lebt, sind wir immer in ihrem Blickfeld und profitieren von ihrer Fantasie und ihrem Engagement. Ohne die Goldwaage zu bemühen können wir sagen, dass sie viel für Darmstadt getan hat und immer noch tut. Als Politik-Ruheständlerin ist ihre Energie nicht erlahmt. Sie bleibt bei den Dingen am Ball, die ihr schon immer besonders am Herzen lagen, und da hat Darmstadt einen herausragenden Platz.
Heinerfestereröffnung 2011, Ruth Wagner und der Bekennende Heiner 2011, Hansfred Glenz Foto: Ulli Emig
Zu ihrem Lebensweg:
Ruth Wagner ist nicht in Darmstadt, sondern in Wolfskehlen geboren, mitten in den Kriegsjahren. Der Vater ist im Krieg geblieben, und die Mutter hatte es schwer, die beiden Mädchen durch die schwierigen Jahre zu bringen. Ruth Wagner mußte sich ihren Weg zum Gymnasium erkämpfen. Dass sie Lehrerin werden wollte, stand für sie früh fest. Dafür nahm sie viele Erschwernisse in Kauf, nur die Unterstützung und Förderung ihrer Lehrer haben ihr dabei geholfen. 1960 machte sie ihr Abitur und studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaften. 1968 kam sie als Lehrerin an die Darmstädter Viktoriaschule, wo sie bis 1976 unterrichtete. Schon ab 1969 engagierte sie sich als stellvertretende Vorsitzende im Hessischen Philologenverband, und von 1970 an vertrat sie die Lehrerschaft im Hauptpersonalrat der Lehrer beim Hessischen Kultusminister.
Ihr politisches Engagement hatte praktisch längst begonnen, als sie 1971 in die FDP eintrat. Bildung und Kultur waren auch hier ihre Arbeitsschwerpunkte. Sie hat viele wichtige Positionen auf Landes- und Bundesebene eingenommen, die nicht alle aufgezählt werden können. Sie war die erste weibliche Parteivorsitzende in Hessen, war rund 30 Jahre Mitglied des Hessischen Landtags, 25 Jahre im Bundesvorstand ihrer Partei, von 1987-1991 und von 2003-2008 Vizepräsidentin des Hessischen Landtags und von 1999-2003 Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst. In Darmstadt war sie 14 Jahre im Stadtparlament und Vorsitzende des Kulturausschusses. Im April 2008 ist sie aus der hessischen Landespolitik ausgeschieden.
Die Liste ihrer ehrenamtlichen Engagements und Bindungen im Rhein-Main-Gebiet ist dadurch kaum kleiner geworden. Eine Trennung ist auch sehr schwer, da sie mit all den Projekten, die sie angestoßen hat und deren Realisierung sie begleiten konnte, ganz persönlich verbunden ist. Sie ist als aufgeschlossene Gesprächspartnerin geschätzt, als Vertrauensperson verlässlich, ihre Hartnäckigkeit und ihr Durchsetzungsvermögen sind legendär. Sie hat auch keine Konflikte gescheut. Sie hat den Mund aufgemacht. Sie ist ein gutes Beispiel für Frauen in der Politik. Ihr Leitspruch: „Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut in der Politik“. Von Bundespräsident Horst Köhler wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, und das Land Hessen hat sie mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille geehrt.
Und privat:
Neben dem Jungmädchenwunsch, Lehrerin zu werden, gab es noch die Option der Malerei. Dies war zu jener Zeit die pure Utopie. Aber die Liebe zur Malerei ist bis heute wichtiger Bestandteil in ihrem Leben. Sie hat auch hier viel Anerkennung und Förderung durch Künstler erfahren, und so nimmt sie in jedem Jahr 1-2 Auszeiten und klinkt sich ein in eine Malerkolonie mit Gleichgesinnten. Diese Mal-Zeiten sind lebenswichtiger Bestandteil geworden in einem von Terminen und Problemen überbuchten Leben. Hier tankt sie neue Kraft und holt sich Inspiration.
Über die Malerei haben wir uns näher kennengelernt. In den Jahren 1992 und 1993 war Ruth Wagner bei den Pleinairs in Mirabel in Südfrankreich dabei. Sie hat sich so ganz selbstverständlich und kollegial in die Gruppe eingebracht, wie das eben ihr Naturell ist, sie hat viel gearbeitet und dann zusammen mit dem internationalen Künstlerkreis im Museum Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe ausgestellt. In ihrer Wohnung auf Höhe der Baumwipfel hat sie ein Atelier und kann ihre Zeit jetzt etwas besser nach der Neigung steuern. Ihre Bilder sind überall, nicht nur an den Wänden und vor und in den Regalen, auch als anschauliche Galerie auf dem Boden ausgebreitet. In dieser Gesellschaft fühlt sie sich wohl.
Früher wurden freien, regen Geistern Denkmäler gesetzt, heute wird man „Bekennender Heiner“ mit Lob und Dank, und in der Reihe der in den vergangenen sechs Jahren gekürten Persönlichkeiten kann sich Ruth Wagner auch wohlfühlen.
Liane Palesch
Darmstadt und Region – ein Bekenntnis
Was ist der Unterschied zwischen einem Heiner und einem bekennenden Heiner? Der erste ist in Darmstadt geboren; der zweite kann hier geboren sein, muss aber nicht: entscheidend ist sein Bekenntnis zu dieser Stadt, seine Liebe zu ihr und selbst wenn er nicht dauernd anwesend ist, nicht jeden Tag hier arbeitet, erwartet man, dass er Darmstadt, wo immer er sich in der Welt befindet, unaufhörlich in Erinnerung hat, diese Stadt preist und lobt und für sie wirbt. Also nicht Herkunft von Geburt, sondern seine Gesinnung machen ihn zum „bekennenden Heiner“, und das gilt selbstverständlich auch für die „bekennende Heinerin“.
Diese Geisteshaltung, Darmstädter oder Darmstädterin aus Begeisterung für diese Stadt zu sein, gilt zum Beispiel für den fränkischen OB Jochen Partsch, seinen nordhessischen Vorgänger Walter Hoffmann, für die in Kassel geborene Darmstädter Bundestagsabgeordnete Brigitte Zypries, und den zwar in Darmstadt geborenen, aber lange Jahre außerhalb tätigen Heinerfestpräsidenten und ehemaligen Landrat des die Stadt umgebenden Landkreises, Hans-Joachim Klein, wie auch für den rheinischen Kämmerer Andrê Schellenberg und viele, viele andere!
Dass der Heinerfestfreundeskreis aus dieser Idee einen „Orden“ kreiert hat, ist eine großartige Idee, und dass ich dieses Jahr damit ausgezeichnet werde, macht mich „schamrötlisch“ und sehr dankbar!
Ich bin 1940 im hessischen Ried geboren, in Goddelau und Gernsheim in die Schule gegangen und habe als etwa Siebenjährige die große Stadt Darmstadt, zum Teil noch in Ruinen, erlebt. Das Einkaufen, das Feste feiern, zum Beispiel das Heinerfest, die ersten Theaterbesuche noch in der Orangerie, das Staunen über die Bücherschätze in der Bibliothek im Schloss, der erste Besuch einer Ausstellung in der Kunsthalle und eine Büchnerpreisverleihung – das waren meine ersten Erfahrungen mit einer Stadt, die den Lebenswunsch begründeten, nicht im Dorf bleiben zu wollen, sondern in einer Stadt zu leben.
Nach meinem Studium an der Frankfurter Universität entschied ich mich ganz bewusst, Lehrerin an einer Darmstädter Schule zu werden und ab 1968 auch hier zu leben – in wechselnden Stadtteilen!
Trotz dieser Entscheidung verlangte mein zweiter Beruf ab 1978, nämlich die Landespolitik, das Land Hessen von Karlshafen bis Neckarsteinach, von Tann in der Rhön bis Limburg an der Lahn dreißig Jahre lang als Arbeitsfeld zu beackern. Aber der enge Lebensraum, trotz der „Ausflüge“ nach Bonn und Berlin und das Ausnahmejahr der Wiedervereinigung mit 100.000-Autokilometern nach Thüringen, blieb das Rhein-Main-Gebiet mit den drei Städten Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden.
Diese Region, nicht Darmstadt alleine, ist meine Heimat die ich liebe – mit den drei Städten, in denen jeweils 150 Nationen leben und arbeiten – eine der großen europäischen Regionen von hoher Wirtschaftskraft, exzellenten Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, ausgezeichneten Kultureinrichtungen, dichten Verkehrsverbindungen, wunderbaren Natur-landschaften des Rieds, des Kühkopfs, der Bergstraße, des Odenwaldes und des Taunus.
Ich bin dankbar, anders als meine Vorfahren und anders als Millionen von Menschen in einem Land, in einer Stadt, in Frieden, Freiheit, Wohlstand, guten Bildungschancen und sozialem Zusammenhalt zu leben.
Ich bin dankbar, dass ich als frei gewählte Abgeordnete vieles für meine Stadt und mein Land bewirken konnte, vor allem für Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur.
Ich bin dankbar, dass ich am Entstehen einer europäischen Region Rhein/Main, über Stadt- und Kreisgrenzen, Landesgrenzen und über mentale Sperren hinweg weiter mitwirken kann. Globales oder europäisches Denken und lokales Handeln schließen einander nicht aus! Dafür ist das „bekennende Heinertum“ eine gute Grundlage!
Ihre Ruth Wagner